6.4.05

Arbeit #2


Der Fischer und der Tourist
In einem Hafen liegt ein ärmlich gekleideter Fischer und döst.
Ein Tourist legt eben einen neuen Film in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, schwarze Fischermütze. Klick. Noch einmal: Klick. Und da aller guten Dinge drei sind und sicherer sicherer ist, ein drittes Mal: klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet und träge nach einer Zigarettenschachtel angelt ...
"Sie werden heute einen guten Fang machen."
Kopfschütteln des Fischers.
"Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist."
Kopfnicken des Fischers.
"Sie werden also nicht ausfahren?"
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Fragestellers ...
"Ich will mich ja nicht in Ihre persönliche Angelegenheiten mischen", sagt der Tourist zum Fischer, "aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht ein viertes Mal aus und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen. Stellen Sie sich das mal vor!"
Der Fischer nickt.
"Und wenn Sie", fährt der Tourist fort, "nicht nur heute oder morgen, sondern an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?"
Der Fischer schüttelt den Kopf.
"Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, und damit würden Sie natürlich viel mehr fangen. Eines Tages würden Sie dann zwei Kutter haben, Sie würden ...", die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, "Sie würden ein Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rumfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann ...", wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. "Und dann ...", sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat.
"Was dann?" fragt er leise.
"Dann", sagt der Fremde mit ehrfürchtiger, stiller Begeisterung, "dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken."
"Aber das tu' ich ja schon jetzt", sagt der Fischer, "ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört."

Eigentlich von Heinrich Böll: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral - gekürzt und modifiziert, aber inhaltlich richtig

1 Comments:

Blogger Ruelfig said...

"Wer Arbeit kennt und da nicht rennt und sich nicht drückt, der ist verrückt" Tick, Trick & Track

10 April, 2005 09:52  

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